Mit meiner Disputation am 17.05.2024 habe ich erfolgreich meine Promotionsprüfung bestanden. Die OTH Regensburg hat dazu bereits ein kurzes Interview und einen Steckbrief meiner Promotion veröffentlicht. Damit ist der wichtigste Teil des Promotionsprozesses abgeschlossen und ich kann mich an die Überarbeitung des Textes und anschließend an die Veröffentlichung machen. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, zumindest in groben Zügen meine Dissertation zu umreißen.
In meiner Dissertation habe ich mich mit der politischen Partizipation von Geflüchteten beschäftigt. Dabei handelt es sich um ein Forschungsgebiet, welches bisher nur wenig Beachtung fand. Die größte Berücksichtigung findet sich im Kontext der Geflüchtetenproteste der 2010er Jahre. Ausgehend des Suizids eines Asylbewerbers in einer Gemeinschaftsunterkunft in Würzburg wurde eine vielbeachtete und durchaus politisch erfolgreiche Kette von politischen Protesten losgetreten, die sich von Bayern durch ganz Deutschland verbreitete und seinen Kulminationspunkt in Berlin fand. Aus Sicht der Forschung zu sozialen Bewegungen waren diese Entwicklungen spannend, da diese als eine Form der Graswurzelbewegung von prekarisierten Bevölkerungsgruppen verstanden werden können – und damit dem Kern dieses Forschungszweigs. Von der allgemeinen Partizipationsforschung wurde dieses Engagement jedoch kaum wahrgenommen. An diesem Punkt setzt meine Dissertation an.
Anhand einer qualitativen und einer quantitativen Studie habe ich untersucht, ob und wie sich Geflüchtete in den politischen Willensbildungsprozess in Deutschland einbringen und wie sich ihr Engagement erklären lässt. Zunächst habe ich mit Expert*innen aus der Praxis der Flüchtlingshilfe geführt. Dazu zählen beispielsweisweise Aktive aus den ehren- und hauptamtlichen Unterstützungsstrukturen für Geflüchtete, wie beispielsweise Beratungsstellen sowie Lehrkräfte aus Sprach- und Integrationskursen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen entwickelte ich ein Theoriemodell politischer Aktivität im Fluchtkontext. Dieses lehnt sich an das traditionsreiche Civic Voluntarism Model an, welches politische Partizipation anhand von Ressourcen, Involvierung und Netzwerken erklärt, und berücksichtigt Erkenntnisse der migrations- und fluchtspezifischen Partizipationsforschung. Anschließend befragte ich Geflüchtete in Sprach- und Integrationskursen sowie in staatlichen Gemeinschaftsunterkünften in Bayern und versuchte dieses Modell – soweit anhand der Datenbasis möglich – zu prüfen. Die Befragung basierte auf Papierfragebögen in sieben verschiedenen Sprachen, welche mit Unterstützung von Sprachmittler*innen verteilt wurden, die bei Bedarf persönlich mündliche Interviews anboten.
Die Ergebnisse zeigen, dass viele Geflüchtete aufgrund ihrer prekären Lebenssituation politisch aktiv werden, um diese für sich und andere zu verbessern. Die Befragten waren trotz ihrer durchschnittlich erst sehr kurzen Aufenthaltsdauer in Deutschland (etwa vier Jahre) bereits annähernd so häufig auf einer der angebotenen Partizipationsformen aktiv, wie im Ausland. Erfolgsfaktoren sind die Einbindung in Netzwerke, insbesondere in die ehren- und hauptamtliche Flüchtlingshilfe, und politische Vorerfahrungen. Ressourcen spielen nur eine geringe Rolle. Dagegen bestätigt sich die These: Wer politisch aktiv werden will (oder muss), findet auch einen Weg, sich politisch auszudrücken. Auch wenn in Deutschland die politische Beteiligung für Ausländer*innen durch den Ausschluss vom Wahlrecht eingeschränkt sind, so gibt es doch vielfältige verbriefte politische Rechte und Möglichkeiten, sich in den politischen Willensbildungsprozess einzubringen. Die Hürden sind trotz allem hoch. Eine Erkenntnis besteht weiterhin darin, dass politisch Aktive besonders häufig äußern, dass die institutionalisierte Politik in Deutschland sich nicht um einen Kontakt zur Bevölkerung bemühe und sich nicht darum kümmerten, was die „einfachen Leute“ denken. Hierbei ist aber nicht klar, ob diese Wahrnehmung zur Aktivität geführt hat oder die Engagierten besonders häufig diese Erfahrung machen.
Dieses individuelle zivilgesellschaftliche und politische Engagement leistet sowohl einen Beitrag zur sozialen Integration der aktiven Geflüchteten, aber auch der Gesellschaft als Ganzen. Politische Teilhabe ist ein essenzieller Bestandteil demokratischer Politik und Lebensführung. Jedoch birgt diese auch Gefahren. Wenn beispielsweise Partizipation als unerwünscht und ertraglos wahrgenommen wird, könnte sich daraus eine Demokratiemüdigkeit und Abwendung von der Aufnahmegesellschaft ergeben, wie dies für andere Zugewandertengruppen nachgewiesen wurde. Das hätte jeweils negative Folgen für die Demokratisierung Deutschlands. Auch ist nicht jede politische Meinungsäußerung aus einer demokratischen Perspektive wünschens- oder unterstützenswert.
Zusammengefasst kann ich mit meinen beiden Studien zeigen, dass Politik für viele Geflüchtete – wie auch für viele andere prekarisierte Bevölkerungsgruppen – keine Selbstverständlichkeit ist. Politische Aktivität ist hoch voraussetzungsvoll und wird daher eher in einer ungewissen Zukunft verortet, wenn Grundbedürfnisse erfüllt sind, wie Bildung, Arbeit, Wohnen und Sicherheit. Zugleich sind es gerade diese ungedeckten Grundbedürfnisse, die eine politische Reaktion provozieren.